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[- 8. Kleine Vorsprünge. Cyberkids und die Bannmeile

Author: Gerald Raunig


Topic:
Keywords:

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8.[1]
Kleine Vorsprünge.
Cyberkids und die Bannmeile

[aus: Gerald Raunig, Wien Feber Null. Eine Ästhetik des Widerstands, Turia+Kant: Wien 2000, S.57-62]

Da stehen fünfhundert PolizistInnen ums Parlament und warten vergebens auf eine Demo. Die Straßenbahnlinien 1, 2, D, J, 46 und 49 verkehren nur eingeschränkt, Magistratsbeamte sind extra früher ins Büro gehuscht, und der Wiener Stadtschulrat bleibt vorsichtshalber gleich zu Hause: Anläßlich der ersten Nationalratssitzung unter der neuen Regierung wird die Bannmeile um das Parlament durch großräumige Abriegelung und die Sperrung zahlreicher Straßen gesichert. Allenthalben Absperrgitter.
Nicht einmal eine Miniatur-Kundgebung läßt sich ausmachen, und die Polizeipräsenz im ausladenden "öffentlichen" Raum um das Hohe Haus gibt ein gespenstisch militantes Bild ab. Gleichzeitig weht ein Hauch von Komik durch die Szene. Statt das Gewaltmonopol durch eine Verletzung des Versammlungsgesetzes und der Bannmeile zu erproben, gelingt es, den Staat auch mal ins Leere laufen zu lassen.
In komplementärer Ergänzung zu seiner Kehrseite, den bunten Bildern von der Angelobung und den täglichen Demonstrationen, vervollständigt dieses gespenstisch-komische Bild der Leere und Desorientierung die Szenerie der ersten Tage des Widerstands gegen die Regierung. Was ist es, das die Staatsmacht so schlecht ausschauen läßt? Am vierten Feber[2] war es wohl die - Trägheit und Defensive vermittelnde - Wirkung der symbolischen wie realen Kontaminierung, einerseits durch die penetrante Absenz der Regierung, andererseits durch die unübersehbare Präsenz der Sperrgitter und von Eiern und Tomaten beschmutzten Uniformen. Die Bilder der Leere und Desorientierung dagegen sind durch einen Mechanismus der Beweglichkeit hervorgerufene, durch die Taktik der kleinen Vorsprünge: erlaufene auf der Straße und durch angewandte Medienkompetenz erarbeitete in virtuellen Räumen. Doch die Betonung liegt auf kleine Vorsprünge: die große Kluft zwischen den vernetzten Individuen der Internet-Generation und den veralteten Apparaten des Staates ist eine Fälschung von Medien und Bundeskanzler und deren virtuellem Script eines kulturpessimistischen Propaganda-Films, der die nationale Einheit durch die Internetrevolte von ferngesteuerten Cyberkids gefährdet sieht.
Der Staatsfunk[3] war zwar nach den Pannen in den ersten Feber-Tagen, als die Leute durch die Verkehrsnachrichten erfuhren, wo die Demo gerade war, auf Linie gebracht, doch die vom Kanzler persönlich verunglimpfte Internetgeneration nutzte für's erste Technologievorsprung und -knowhow zum raschen Aufbau von parallelen Informationsstrukturen. Das Ausfallen der Mainstream-Medien war im Feber Null bei weitem nicht mehr so entscheidend wie in den Protestaktionen früherer Jahrzehnte. Die machten nach wie vor ihren Job als Hegemoniemaschinen, die Informationen liefen derweil auch an ihnen vorbei.
Die Flexibilität und Wendigkeit der Demos auf der Straße korrelierte mit einer schnellen - und vor allem horizontal vernetzten - Nutzung der - teilweise gar nicht mehr so neuen - Kommunikationstechnologien. Die bestand vor allem in einer ungeheuer schnell wachsenden Vielzahl von Internet-Plattformen, Online-Nachrichtendiensten, SMS- und Email-Ketten und der begleitenden aktuell-spontanistischen Berichterstattung durch Radio Orange 94,0[4]. Diese Geschwindigkeit und Überfülle an Information - so mancher Mailserver erlitt Schicksale des mehrfachen Zusammenbruchs - und deren Unübersichtlichkeit - ein Prinzip, das freilich für alle gleichermaßen galt - brachte aber gerade die Polizei in eine Lage des hektischen Hinterherhechelns und des öfteren auch, im wahrsten Sinn des Wortes, des Danebenstehens. Während es vereinzelten potentiellen DemonstrantInnen relativ egal sein konnte, wenn sie auf eine versehentliche Falschmeldung von Radio Orange oder ein bewußt zirkulierendes Fake-Mail hereinfielen, war das beim hierarchisch organisierten Staatsapparat wesentlich folgenreicher.
Der "elektronische Widerstand" entwickelte sich hauptsächlich als ein verlinktes Netzwerk von Kleingruppen und Einzelpersonen, die den Vorteil im Nachteil des medial-individualisierten Vorgehens möglichst optimal nutzten: Ohne allzu genau auf ideologische Differenzen zu sehen, meist auch ohne sich persönlich zu kennen, wurde alles verlinkt, wo nur irgendwie Widerstand drauf stand. Nach ein paar Tagen übrigens auch durch den "Webring gegen blau-schwarz" http://webring.telnet.at, der hunderte Widerstandsseiten (natürlich auch viel Schrott) im Netz aneinanderkoppelte.
Schon ab erstem Feber fungierte die gegenschwarzblau-Website http://www.gegenschwarzblau.net als erste elektronische Adresse der Proteste. Entstanden aus der spontanen Berichterstattung über die Besetzung der ÖVP-Zentrale wurde sie für ein paar Wochen zu einem der Hauptumschlagplätze für schnelle Information, in den ersten Tagen mit bis zu 9000 Zugriffen. Einerseits lagen hier - eigentlich, wie sich nach der Übernahme dieser Funktion durch Radio Orange nach ein paar Tagen herausstellen sollte, im "falschen", zumindest nur zweitbesten Medium - die begehrten Infos, wo die Demonstrationen der ersten Tage sich gerade befanden. In ca. fünfzehnminütigen Abständen wurden die Demo-Positionen upgedatet, allerdings entsprechend der spontanen Flexibilität und der räumlichen Ausdehnung der Demo manchmal mit einer gehörigen Unschärfe. Andererseits berichteten immer mehr Mainstream-Medien über die Aushängeschilder der "digitalen Protestkultur" und ihr Handling von "Bits, Bytes und Barrikaden". In der ersten Woche gerieten über einen anonymen Link zu den elektronischen AkkordarbeiterInnen (drei Wochen lang sechzehn Stunden am Tag) sogar Krone[5]-Online-LeserInnen, die später in Bezug auf den Widerstand eher mit Prädikaten wie "linksrabiate Randalierer" oder "polizeibekannte Berufsdemonstranten" versorgt wurden, in den Genuß von Demonachrichten von gegenschwarzblau. Der affirmative Gestus der Wochen- und Tageszeitungen produzierte zwar auch groteske Fehleinschätzungen und Falschmeldungen wie die Überbewertung der Website als "Zentrale der Straße" , was nur eines der prägnanteren Beispiele der Umkehrung des Verhältnisses zwischen Aktion und Berichterstattung darstellt; im großen führte die Verknüpfung von Aktualität und Hipness mit dem kurzfristigen Hype in den Mainstream-Medien aber zu produktiven Multiplikationseffekten, was die "Öffentlichkeit für die Gegenöffentlichkeit" betrifft. Abgesehen von den unerfreulicheren Seiten eines "Widerstands gegen den Widerstand" in Form von rechtsradikalen Hatemails, netten Telefonanrufen, gelöschten Mail-Accounts und einem gewaltigen Spam, der auch die gettoattack[6]-Mailinglist traf, entwickelte sich das Feld rasant, die Kompetenz der UserInnen exponentiell, der Content von gegenschwarzblau flugs zu einem veritablen Fleckerlteppich wuchernder linker Texte und Infos.
Die gegenschwarzblau-Website wurde konsequenterweise nach drei Wochen und der Konstituierung eines breiten Kontinuums von elektronischer Widerstandsöffentlichkeit geschlossen. Neben den aktualisierten Homepages bestehender Organisationen waren unzählige neue Seiten mit Information, Dokumentation, Entertainment und einer breiten Spanne von Inhalten entstanden, von Agit-Prop über Zitat-Archive bis zu Widerstand-Stickers und -Spielen. Neben den Inhalten, die auf diesen Seiten lagen und liegen, waren sie auch Plattformen für offene Diskussionsforen und Message Boards.
Mailinglists und Mailouts transformierten und substituierten die Formen von Rundbrief und Tageszeitung. Über zahllose Mailinglists wurde versucht, die Kommunikation einzelner Felder und Gruppen zu vertiefen, soweit sie nicht in direkter Kommunikation stattfinden konnte. Am positivsten entwickelten sich jedoch die täglichen Mailouts wie - im kulturellen Feld - Bady Mincks Elektrofrühstück http://elektrofruehstueck.netbase.org/, die Nachrichten aus dem Literaturhaus oder der kulturpolitische Mediaobserver der IG Kultur Österreich. Allen voran, am kontinuierlichsten und als konzentrierteste Form mit umfassenden Informationen aus allen gesellschaftlichen Feldern: der sogenannte "medienunabhängige" Nachrichtendienst widerst@nd! - MUND. Der - in einer überhasteten Anfangsphase mit einem peinlich-unsinnigen Namen punzierte - Mail-Dienst hatte am schnellsten eine adäquate Struktur gefunden, die den täglich wechselnden RedakteurInnen nicht allzuviel Zeitaufwand kostete, täglich eine Zusammenfassung der wichtigsten alternativen Nachrichten in die Mailboxes zu liefern; und das vor allem als langfristig und über die euphorische Phase hinaus funktionierende Struktur mit einer eigenen Dokumentationsabteilung in Form der Website http://www.no-racism.net/MUND/.
Erfahrene MedienaktivistInnen verstanden sich in dieser Etappe eher als hilfreiche SeitenbastlerInnen, als daß medienkünstlerische oder -aktivistische Überlegungen im Vordergrund standen: Auf den meisten Websites standen Information und Dokumentation im Vordergrund, manchmal auch äußerst merkwürdig programmiert. Über Eingriffe in staatliche Systeme durch MedienaktivistInnen wurde nichts bekannt. Demnach läßt sich auch weniger von einem Widerstand im Netz sprechen, als von einem Widerstand im öffentlichen Raum, der im Netz kommuniziert und medial multipliziert wurde. Nicht zuletzt wirkte das Netz auch konstruktiv in bezug auf die Ausweitung der Proteste: Die parallelen Demonstrationen des neunzehnten Febers[7] in verschiedenen Städten Europas und in New York konnten so auf eine weite Palette von gegenseitigen Informationen zurückgreifen.
Die Straße blieb aber nicht ganz allein als Medium der Gegenöffentlichkeit, der virtuelle Widerstand zeigte auch Potentiale, die darüber hinausgehen, das Netz nur als ein Instrument zu verstehen, das die Demonstrationen technologisch unterstützt. Reale Räume, übrigens nicht nur die Straße, sondern auch Theater und Kulturinitiativen, die mehr und mehr zu Diskussionsräumen umfunktioniert und geöffnet wurden, fanden ihre virtuellen Pendants in der Besetzung von Domains wie www.government-austria.at, www.fpo.at[8] oder www.ballhausplatz.at.
Zwischendurch und im realen Raum stand die Polizei wieder einmal an der falschen Stelle. Die gegenschwarzblau-Website erwies sich damit zwar nicht als "Zentrale der Straße", dafür als "Zentrale der Behörde". Von den leider diesmal inkorrekten Infos auf der Widerstandsseite zielstrebig an den falschen Ort geleitet, sicherte die Polizei ordentlich die U-Bahn-Station Volkstheater, während die bahnfahrende Demonstration ein anderes Theater auserkor, aus den Ausgängen der davorliegenden Station Lerchenfelderstraße quoll und von dort aus zum Theater an der Josefstadt zog.


1 Am 8.2.2000 fand die erste Sitzung des neuen Parlaments unter der schwarzblauen Regierung (FPÖ unter Jörg Haider, ÖVP unter Wolfgang Schüssel) statt. Nach den andauernden Demonstrationen der vergangenen Tage erwartete die Polizei für diesen Tag Ausschreitungen vor dem Parlament.
2 4.2.2000: Tag der Angelobung der schwarzblauen Regierung, wilde Proteste auf den Straßen Wiens
3 der öffentlich-rechtliche ORF
4 freies Community-Radio in Wien
5 Die Kronenzeitung ist das österreichische Boulevardblatt mit einer weltweit einzigartigen Reichweite von ca. der Hälfte aller ÖsterreicherInnen
6 www.gettoattack.net
7 Am 19.2.2000 fanden in ganz Österreich und darüber hinaus Großdemonstrationen statt, in Wien wurden eine viertel Million Menschen gezählt.
8 Von der FPÖ massiv bekämpfte und inzwischen vom Netz genommene Fake-Site

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Submitted by geraldraunig
Posted on Thu Oct 16, 2003 at 11:44 AM EURODISCORDIA TIME
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